Die Geschichte der Brennerei Gemmer

Vortrag von Albrecht Gemmer, Rettert,  anl. des  "Tag der offenen Brennerei" am 26.9.2010 

Der Umbau der Brennerei hier hat mich animiert, etwas über die Geschichte dieser Brennerei zu sagen.

Mein Bezug zum Haus ist der, dieses Haus ist auch das Elternhaus meines Vaters. Ich selbst habe in den Nachkriegsjahren viel Zeit bei meinem Großvater „Schorsch" verbracht. War oft viele Tage mit ihm in der Brennerei oder im Schnapskeller. Hier bin ich ihm vielleicht auch manchmal auf den „Geist" gegangen. Eine Anekdote fällt mir dazu ein, mein Großvater hat im Keller Schnaps fertig gemacht und hat dabei immer am Schnapsglas genippt, den Schnaps im Mund probiert und dann wieder ausgespuckt.

Ich habe ihn da gefragt, warum trinkst du dann den Schnaps nicht? Da sagte er, dann wird man ja besoffen und es reicht, wenn die anderen besoffen werden.

Aber nun zur Geschichte dieser Brennanlage.

Es gibt aus der Bauzeit der Anlage keinerlei Unterlagen mehr, daher sind die Daten recherchiert und zusammengestellt.

Da diese Gaststätte schon fast 300 Jahre besteht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass vor dieser Anlage, wie sie draußen steht, schon eine Brennerei vorhanden war.

Wie aus amtlichen Unterlagen zu ersehen ist, gab es zwischen 1850 und 1900 in Rettert 7 Gastwirtschaften und über 10 Hufschmiede und Nagelschmiede. Der Grund dafür ist, daß die Fuhrleute, die das Eisenerz aus Allendorf an den Rhein zur Verschiffung an die Hochöfen fuhren, auf der Anhöhe hier in Rettert Rast machten. Die Pferde mussten ausruhen oder zum Schmied und die Fuhrleute tranken ihren Fuhrmannsschnaps.

Der 1. Teil der Anlage ist wahrscheinlich Ende der Jahre 1890 bis 1900 gebaut. Laut der Bundesmonopolverwaltung in Offenbach ist diese Anlage eine der ältesten noch in Betrieb befindlichen Brennerei dieser Art in Deutschland.

Nach einer Erzählung meines Vaters oder wahrscheinlich meines Großvaters hat er diese Brennerei aus einer Notlage heraus angeschafft. Er hat mir erzählt, der Mann seiner Schwester in Katzenelnbogen, er war Holzhändler dort und hat sich nach der Jahrhundertwende hoch verschuldet und ist in Konkurs gegangen. Mein Großvater hat damals mit mehreren tausend Reichsmark für seinen Schwager gebürgt, um dessen Konkurs abzuwenden.

Um dieses Geld wieder zu erwirtschaften, kaufte er sich damals vor 1910 diese gebrauchte Brennanlage.

Dieser Teil der Anlage, der Kessel, der hier links steht und der Kühler wurden in der Kupferschmiede Brandenstein in Limburg hergestellt.

Es war eine offene Anlage, eine so genannte Abfindungsbrennerei.

Diese Brennerei wurde dann 1925 in eine landwirtschaftliche Verschlussbrennerei umgebaut, das heißt, die Anlage wurde mit über 300 Plomben versiegelt und die Verbindungen der Alkohol führenden Teile mussten mit Kappen sogar doppelt verplombt werden.

Gleichzeitig musste vom Zollamt eine Messuhr für die feststehende Alkoholmenge eingebaut werden.

1933 wurde die Brennerei von dem Kupferschmiedebetrieb Kleinschmidt aus Limburg erweitert. Seit diesem Umbau wurde in dem mittleren Kessel hier der Raubrand gebrannt. In dem ersten Kessel wurde der Feinbrand hergestellt. Somit wurde der Schnaps zur Verbesserung der Qualität zweifach gebrannt.

Der Schnaps wurde dann bis zum Ankauf des 1. Autos im Jahre 1927 mit dem Pferdefuhrwerk ausgefahren. Es wurden viele Gaststätten beliefert. Nach Nastätten und Miehlen, bis nach Bad Schwalbach und Wiesbaden wurde Schnaps ausgefahren.

Mein Vater hat mir erzählt, wenn er, bevor er verheiratet war, Schnaps nach Wiesbaden und Bad Schwalbach fuhr, hat er in manchen Gaststätten auch mal Schnaps mittrinken müssen. Auf der Heimfahrt über die Bäderstraße hat er sich auf den Wagen gelegt und geschlafen.

Das Pferd, es hieß Bella, hat den Weg nach Rettert alleine gefunden. Wenn dann die Abfahrt nach Rettert über den Kemeler Weg kam, fing das Pferd an zu galoppieren, bis es an der Abfahrt vorbei war. Der Grund war, es wollte nicht über den sogenannten Bollerstich, das heißt, über den grauen Kopf und am Römerkastell vorbei nicht diese Abkürzung nach Rettert machen, weil dort der Weg so schlecht war.

Im Jahr 1943 hat mein Großvater dann die Brennerei an den Bruder meines Vaters an meinen Onkel Willi übergeben.

Mein Onkel hat die Brennerei dann weitergeführt, bis er sie dann 1958 an meinen Vetter Horst weitergegeben hat. Mein Vetter musste dann in den folgenden Jahren mehre Reparaturen durchführen. So war 1960 der untere Teil des 1. Kessels durchgebrannt, der dann von Hugo Schneider und Emil Schmidt wieder abgedichtet wurde.

Dieser Kessel wurde mit Holz und Kohle beheizt. Wenn dann die dunklen und gelben Wolken aus dem Schornstein stiegen, wusste man, in Bäckersch wird wieder Schnaps gebrannt.

Der Roggen für den Kornschnaps wurde im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb angebaut. Es wurden in der Regel um ca. 5 ha Roggen angebaut.

Wenn Schnaps gebrannt werden sollte, wurde ca. 1 dz Roggen geschrotet und in diesem Maischbottich eingemaischt. Durch Erhitzen wurde die Stärke in Zucker umgewandelt und anschließend vergoren. Die Maische wurde dann in den 2ten Kessel hier umgefüllt und gebrannt. Es wurde im Durchschnitt zwischen 40 und 501 Kornschnaps hieraus gewonnen.

Der Zollbeamte, der alle Brennereien in dem Bezirk zu kontrollieren hatte, musste zu jeder Tages- und Nachtzeit Zugang zu der Brennerei haben. So kam es auch schon mal vor, dass der Beamte nachts kontrolliert hat, ob die Anlage kalt oder warm war, was nur durch den Eintrag in das Brennbuch zu erkennen war.

Mein Vetter Horst hat mir einmal gesagt, als in den 70er und 80er Jahren, nachdem der Branntweinverzehr nachgelassen hat, es für ihn eigentlich nur noch interessant war, weiter zu brennen, weil er als Landwirt die Maische 2 mal verwerten konnte. Einmal die Stärke für die Schnapsherstellung und zum 2ten der verbleibende Eiweißanteil für die Schweinemast.

Nachdem die Brennerei von Werner Hilche hier in Rettert stillgelegt wurde, hat mein Vetter dessen Dampfkessel, der einige Jahre zuvor von Hugo Schneider dort eingebaut wurde, erworben.

Somit konnte der 1. Kessel, der 1960 schon einmal durchgebrannt war, außer Betrieb gesetzt werden. Dieser Kessel konnte mit Holz, Kohle oder auch mit Heizöl beschickt werden. Auch die Dampferzeugung war wirkungsvoller als mit dem alten Kessel.

Der Sohn von meinem Vetter Host, Klaus, hat dann die Brennerei 1989 übernommen.

in den folgenden Jahren hat sich der Schnapsverkauf an andere Gaststätten reduziert und hat in den folgenden Jahren angefangen verschiedene Edelbrände herzustellen. Dieses ist ihm bisher auch sehr gut gelungen.

Nachdem immer mehr Anfragen kamen, die Brennerei zu besichtigen, hat sich Klaus entschlossen, nachdem die Landwirtschaft verkleinert wurde, diese Brennerei als Schaubrennerei mit Probierraum und einem kleinen Museum in dem alten Kuhstall neu aufzubauen.

Alle Pläne hierfür hat er selbst entworfen. Selbst eine neue Brennerei wurde durchkalkuliert.

Das er fast alle Arbeiten selbst durchführen konnte, verdankt er seinem handwerklichen Geschick und der tatkräftigen Unterstützung seiner gesamten Familie.

Selbst seine Angestellten, wie die Köche u. s. w. kamen zum Einsatz. Auch für bestimmte Arbeiten, wie z. B. alle Kupferarbeiten konnte er für die fachliche Ausführungen auf keinen besseren Fachmann wie Hugo Schneider zurückgreifen, der mit Rat und Tat beiseite stand, da viele Teile erneuert oder umgebaut werden mussten.

Ich denke, wie sie alle hier sehen können, ist Klaus Gemmer dies hier alles hervorragend gelungen. Ich glaube und hoffe, dass die fast 1 jährige Arbeit und die Investitionen nicht um sonst waren.

Rettert, am 26. Sept. 2010

Albrecht Gemmer